Ein Schlangenkopf aus Delphi

Liegender und aufrecht stehender Kopf einer Schlange

Sogenannte Schlangensäule aus Delphi

Abguss: Archäologische Sammlung Wien, Inv.-Nr. 598
Original: Istanbul, Archäologisches Museum 18
nach 480/79 v. Chr.

Der übergroße Schlangenkopf, den dieser Gipsabguss wiedergibt, war im Original aus Bronze gefertigt und gehörte zu einem größeren Monument, das als „Schlangensäule von Delphi“ bekannt ist. Delphi war ein in der ganzen griechischen Welt bedeutendes Heiligtum, das der Verehrung des Gottes Apollon gewidmet war und ein wichtiges Orakel unterhielt. In diesem Heiligtum wurde die Schlangensäule errichtet, um an den Sieg der Griechen über die Perser im frühen 5. Jahrhundert vor Christus zu erinnern. Die Säule bestand aus drei sich emporwindenden Schlangen, deren Körper den Schaft des Monuments bildeten und die hoch über dem Boden ihre Mäuler weit aufrissen. In antiken Quellen wird erwähnt, dass die drei Köpfe einen goldenen Dreifuß trugen, einen Kessel auf hohen Beinen. Die genaue Rekonstruktion des Monuments ist umstritten, aber insgesamt war die Säule mit dem Dreifuß ungefähr zehn bis zwölf Meter hoch, was einem zwei- bis dreistöckigen Einfamilienhaus entspricht. Auf den Schlangenleibern waren die Namen jener griechischen Städte eingraviert, die sich am siegreichen Kampf gegen die Perser beteiligt hatten.

Der Abguss des Schlangenkopfes ist ungefähr so lang wie ein durchschnittlicher Unterarm und läuft zur Schnauze des Tieres leicht spitz zusammen. Den vordersten Teil der Schnauze nehmen die eingetieften Nasenlöcher ein, unter denen die Zahnreihe des Oberkiefers ansetzt. Die spitzen Zähne sind entlang der Kopfunterseite gut fühl- und sichtbar, zumal der Unterkiefer vollständig fehlt. Vermutlich aber kann man sich die Schlange mit bedrohlich geöffnetem Maul vorstellen, als ob das Tier im Begriff wäre, Beute zu jagen. Die Augenpartie der Schlange ist markant hervorgehoben und ihre in der Antike separat eingesetzten Augen sind heute als tiefe kreisrunde Höhlen erkennbar. Darüber verlaufen geschwungene augenbrauenartige Linien, sonst aber bleibt die Oberfläche glatt und imitiert nicht die Textur von Schlangenschuppen.

Die Schlangensäule blieb für fast ein Jahrtausend im Heiligtum von Delphi aufgestellt, vermutlich in prominenter Nähe zum Tempel und Altar des Apollon, und verkörperte ein Symbol des griechischen Sieges über die persischen Heere. Im 4. Jahrhundert nach Christus versetzte Kaiser Konstantin der Große die Säule nach Konstantinopel, das spätere Istanbul, und ließ sie als Wendemarkierung einer Pferderennbahn installieren. Dort dokumentieren sie noch osmanische Darstellungen und neuzeitliche Reiseberichte. Heute aber ist der goldene Dreifuß ebenso verloren wie ein Großteil des Säulenschaftes, von dem lediglich fünf Meter, also etwa die halbe Höhe der ursprünglichen Säule, erhalten sind. Zusammen mit dem letzten erhaltenen, aber auch unvollständigen Schlangenkopf, der heute ebenfalls in Istanbul zu sehen ist und den unser Gipsabguss kopiert, zeugen die Reste der Schlangensäule dennoch von einem Monument, das für das Geschichtsbild und das Selbstverständnis der Griechen von zentraler Bedeutung war.

(Kai Schoder)