Rundgang B: Kindheit in der Antike

Welche Rolle spielten Kinder in antiken Gesellschaften? Wie verhielt sich ihre Welt zu jener der Erwachsenen? Und wie wurden Kinder – in ihrer körperlichen Entwicklung und in verschiedenen Altersstufen – in der antiken Bilderwelt dargestellt? Der Rundgang macht sich auf die Suche nach antiken Realitäten und Repräsentationen von Kindheit.

B2 Das verspielte Kleinkind

[IKA, Photo: Kristina Klein]

Inv.-Nr. 1392

Sog. Ganswürger

München, Glyptothek 268
römische Kopie nach einem Original aus der zweiten Hälfte des 3. Jh. v. Chr.

Was passiert hier bei dieser Skulptur? Umarmt der Knabe die Gans oder würgt er sie? Dieser Abguss zeigt eine bekannte Statuengruppe, die sich heute im Louvre befindet und zu mehreren ähnlichen Skulpturen gehört, die alle ein Kleinkind mit einer Gans zeigen.

Das Auftreten mehrerer ähnlicher Statuengruppen in römischer Zeit lässt vermuten, dass es ein berühmtes Vorbild gab, das für wohlhabende Auftraggeber weithin kopiert wurde. Es handelt sich hierbei möglicherweise um eine Statue, die bei Plinius (NH 34,84) erwähnt wird und von dem berühmten Bildhauer Boethos von Chalkedon geschaffen wurde. Plinius selbst scheint von der Statue irritiert gewesen zu sein, denn er beschreibt sie als "ein Kind, das eine Gans erwürgt, indem es sie umarmt".

Zeigt diese Statue Grausamkeit, Zuneigung oder Humor – oder eine Kombination dieser unterschiedlichen Emotionen? Die Wahl eines Kindes, um die Ambivalenz von Emotionen zu ergründen, ist typisch für die Kunst in hellenistischer Zeit, in der sich das Spektrum der Darstellungen des menschlichen Körpers im Vergleich zur klassischen Periode drastisch ausweitet. In dieser Epoche lassen sich realistischere Darstellungen nicht nur von Kindern, sondern auch von Alten und 'Hässlichen' finden (wenn Sie einen Blick in den Raum mit den Porträtbüsten werfen, können Sie einige davon entdecken).

Das hier dargestellte Kind entspricht der sog. Putto-Figur – einem rundlichen, männlichen Kind am Übergang vom Säugling zum Kleinkind. Solche Figuren wurden später in der Barockkunst für die Darstellung von Engeln und Liebesgöttern beliebt.