Rundgang B: Kindheit in der Antike

Welche Rolle spielten Kinder in antiken Gesellschaften? Wie verhielt sich ihre Welt zu jener der Erwachsenen? Und wie wurden Kinder – in ihrer körperlichen Entwicklung und in verschiedenen Altersstufen – in der antiken Bilderwelt dargestellt? Der Rundgang macht sich auf die Suche nach antiken Realitäten und Repräsentationen von Kindheit.

B4 Die unschuldig Leidenden

[IKA, Photo: Kristina Klein]

Inv.-Nr. 556

Verkleinertes Modell der Laokoongruppe

Rom, Vatikanische Museen 1064
späthellenistisch

Der Abguss gibt in verkleinertem Maßstab eine berühmte Statuengruppe wieder, die im Original ungefähr lebensgroß war und Laokoon mit seinen beiden Söhnen zeigt. Laokoon war ein trojanischer Priester, der davor warnte, das berühmte hölzerne Pferd in die Stadt zu holen. Der römische Dichter Vergil widmete Laokoon in seinem Epos, der Aeneis, eine der einprägsamsten Zeilen der antiken Dichtung – 'timeo Danaos et dona ferrentes', frei übersetzt: "Vorsicht vor falschen Freunden!". Die Götter, die im Trojanischen Krieg die griechische Seite unterstützten, brachten Laokoon jedoch schnell zum Schweigen und schickten Seeschlangen, die ihn und seine beiden Söhne ins Meer rissen und töteten.

Die originale Statuengruppe war eine der berühmtesten in der römischen Welt. Plinius der Ältere schreibt, dass sie von drei rhodischen Bildhauern im 1. Jahrhundert v. Chr. oder im frühen 1. Jahrhundert n. Chr. geschaffen wurde und dass sie die Kopie einer früheren hellenistischen Gruppe sei. Die Statuengruppe wurde nicht nur von antiken Autoren wie Plinius beschrieben, sondern auch in römischen Malereien wiedergegeben, etwa in der Szene einer Wandmalerei aus einem Haus in Pompeji. Bis heute ist sie eine der am meisten diskutierten Skulpturen der antiken Plastik und berühmt vor allem für die virtuose Darstellung des menschlichen Körpers im Zustand äußerster emotionaler Anspannung.

Die Darstellung der Kinder wirkt, als handle es sich um ‚Miniatur-Erwachsene‘. Beide Knaben weisen eine gut entwickelte Muskulatur und feine Gesichtszüge auf, jedoch keine weicheren Körper oder kindliche Züge, die wir in realistischen Darstellungen von Kindern erwarteten. Eine solche Darstellung von Kindern in der Art von Erwachsenen kennzeichnet häufig die klassische griechische Kunst. Bei dieser hellenistischen Skulptur können wir die beiden flankierenden Figuren aufgrund der kleineren Körpergröße im Vergleich zur Mittelfigur als Kinder identifizieren, aber natürlich auch, weil wir den dargestellten Mythos kennen.

Einer der Knaben blickt zu seinem Vater auf, sichtlich in der vergeblichen Hoffnung auf Hilfe, während der andere wild um sich schlägt, aber dennoch fortgerissen wird. Diese Kinder waren Unschuldige, die für einen Fehler, der nicht ihr eigener war, sterben mussten. Die Wirkung der Statuengruppe beruht wesentlich auf der Einbeziehung der Kinder und auf der starken emotionalen Reaktion, die diese bei den Betrachtenden hervorruft. Laokoon alleine im Todeskampf mit den Schlangen zu sehen, erzeugte nicht dieselbe Wirkung. In der Antike wie auch heute ist die künstlerische Entscheidung, das Leid von Kindern ins Bild zu setzen, ein wirkmächtiges Mittel, um die Rezipient*innen emotional zu bewegen.