Rundgang C: Kleidung und Nacktheit in der Antike

Wie lässt sich die soziale Dimension des Bekleidens, Ausziehens und Nacktseins fassen? Was bedeutet es, nackt zu sein? Die Antwort hängt davon ab, wer man ist und in welcher Situation man sich befindet.

C1 Heroische männliche Nacktheit

[IKA, Photo: Kristina Klein]

Inv.-Nr. 1399

Statue eines Speerträgers (Doryphoros des Polyklet)

Neapel, Nationalmuseum 6011
tiberische Kopie nach einem Original um 440 v. Chr.

Denken wir an Nacktheit in der klassischen Antike, kommt uns meist die heroische, athletische Gestalt des nackten männlichen Körpers in den Sinn – wie beispielhaft bei dieser Statue. Der Doryphoros oder ‚Speerträger‘ ist eine der berühmtesten Statuen der Antike und wurde ursprünglich von dem bedeutenden klassischen Athener Bildhauer Polyklet um 440 v. Chr. geschaffen.

Der Doryphoros galt in der Antike als ein herausragendes Beispiel für Polyklets Regeln zu Proportionen, welche die idealen Verhältnisse verschiedener Körperteile bestimmten und die perfekte menschliche Gestalt konstruierten. Die Statue wurde vom Mediziner Galen und dem Gelehrten Plinius als Verkörperung der idealen menschlichen Form beschrieben. Dementsprechend fertigte man in römischer Zeit zahlreiche Kopien der originalen Bronzestatue an. Der hier zu sehende Abguss beruht auf einer Marmorkopie des Doryphoros, die in Pompeji gefunden wurde.

Die Statue stellt einen jungen stehenden Krieger dar, der mit der linken Hand einen (nicht erhaltenen) Speer auf der Schulter hält. Sein Körper zeigt mit schräg gestelltem Becken und leicht nach hinten gesetztem Bein den klassischen Kontrapost. Die Muskeln sind angespannt und durchtrainiert, und zwar in einem Ausmaß, dass manche Elemente der Muskulatur anatomisch inkorrekt oder zumindest unrealistisch erscheinen. Insbesondere der Beckenkamm (die Linie, die vom Hüftknochen zum Schambein verläuft) ist stärker ausgeprägt als bei einem echten menschlichen Körper. Unrealistische Körperideale sind keineswegs neu.

Der Jüngling ist in der Blüte seines Lebens dargestellt – auf dem Höhepunkt seiner körperlichen Schönheit und Stärke. In der klassischen athenischen Gesellschaft wurden körperliche und moralische Vortrefflichkeit gleichgesetzt und mit der Phrase kalos kai agathos („schön und gut“) beschrieben.