Gefühle im Bild. Die Herausforderung der emotionalen Interpretation in der Bildsprache anhand einer faliskischen Schale

Lukas Eisler

Foto: IKA, Kristina Klein

Faliskisch-rotfigurige Kylix aus Orvieto
Wien, Archäologische Sammlung, Inv. 499
erste Hälfte 4. Jahrhundert v. Chr.
Geschenk von Otto Benndorf an Archäologische Sammlung 1888

 

Emotionen sind für sich genommen schon ein sehr komplexes Thema. Die genaue Gefühlslage eines Menschen bildlich zur Aussprache zu bringen, stellt Künstler*innen vor Herausforderungen, da manche Emotionen einfacher darzustellen sind als andere. Wie also setzten die Menschen, die vor mehr als 2000 Jahren lebten, das dennoch um? Um diese Frage zu beantworten, betrachten wir im Folgenden eine sogenannte faliskisch-rotfigurige Kylix. Dabei versuchen wir uns der Frage anzunähern, welche Emotionen mit welchen visuellen Mitteln dargestellt wurden.

Falisker, Kylix, Orvieto – was ist das eigentlich?

1888 schenkte Otto Benndorf, damals Professor für Klassische Archäologie an der Universität Wien und später Begründer des Österreichischen Archäologischen Instituts (ÖAI), der Sammlung eine Trinkschale (Kylix), die aus Orvieto im heutigen Umbrien in Italien stammte. Orvieto, in der Antike als Volsinii veteres bekannt, liegt heute etwa 100 km nördlich von Rom und war im 4. Jahrhundert v. Chr. eine wohlhabende und mächtige Stadt der Etrusker, die enge Kontakte zu den Faliskern hatten. Die Falisker lebten nordöstlich von Rom und waren kulturell eng mit den Latinern und den Etruskern verbunden. Die Herstellung von rotfiguriger Keramik, zu der auch unsere Kylix gehört, begann in Falerii veteres (heute Civita Castellana) um 380/370 v. Chr., als sich attische Handwerker dort niederließen. Als Vorlage dafür diente die in Athen und Attika produzierte Keramik, die in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts v. Chr. über das Mittelmeer nach Etrurien exportiert wurde.

Die lokal produzierte Keramik war besonders in der etruskischen Mittelschicht beliebt und man begann ab der Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. standardisierte Keramik für diese zu produzieren. Die athenische Tradition der Keramik inspirierte die faliskische Produktion, wobei es aber auch lokale Elemente gab. Dazu gehört das hier gezeigte Gefolge von Dionysos. Dionysos war in der griechischen Mythologie der Gott des Weines. Er verfügte über ein mythisches Gefolge (thíasos), das unter anderem aus Satyrn bestand. Satyrn sind Mischwesen aus Mensch und Tier und werden meist stupsnasig, glatzköpfig und unbekleidet dargestellt.

Ein Satyr und ein Bock

Ein solches Mischwesen ist auch auf unserer Kylix dargestellt. Er ist nackt und trägt lediglich ein Pantherfell auf den Schultern, das vor seinem Hals zusammengebunden ist. Er befindet sich gerade in einem Stoßwettkampf mit einem Ziegenbock und hält dabei die Arme verschränkt hinter seinem Körper. Die rechte Hand umklammert den linken Unterarm, was anscheinend eine Regel des Wettkampfs ist. Der Hund des Satyrn springt mit großen Augen an der Ziege hoch, offenbar an der ganzen Sache interessiert. Die Augen des Ziegenbocks sind ebenso weit aufgerissen und blicken direkt in die Augen des Satyrn, der einen eher neutralen Blick hat.

Foto: IKA, Kristina Klein

Auf der Außenseite des Gefäßes befinden sich zwei Szenen, die sich nur im Detail unterscheiden. Auf beiden Seiten sind ein stehender nackter Jüngling, eine stehende Frau im Gewand (Peplos) und ein Jüngling im Mantel (Himation) dargestellt. Der Jüngling steht nach rechts gerichtet zur Frau und hält seinen linken Arm in einer Höhe, als ob er sie begrüßt. Die Frau hält ihrerseits den linken Arm von ihrem Körper weg, die Handinnenseite schaut zu ihr. Bei der Darstellung handelt es sich um ein Gespräch zwischen den drei Menschen.

Befassen wir uns kurz mit dem Kontext, in dem die Schale verwendet wurde. Von dem einstigen Fundkontext wissen wir abgesehen von der Herkunft aus Orvieto nichts. Vergleichen wir also mit ähnlichen Objekten: Solche Schalen wurden gerne bei Bestattungen verwendet und den Toten als Beigaben mitgegeben. Die darauf gezeigten Szenen können oft thematisch auf den Grabkontext verweisen, was auf unsere Kylix aber nicht zutrifft. Trotzdem können Schalenbilder aus dem Grabbereich Emotionen hervorrufen, nämlich bei den Hinterbliebenen.

Darstellung von Emotionen: Gesten, Körperhaltungen und das Ideal der Selbstbeherrschung

In der zwischenmenschlichen Kommunikation informieren uns zum Beispiel Worte über den Gemütszustand eines Menschen. Um die Gefühle und andere innere Zustände einer Person darzustellen, stützte man sich in der Antike besonders auf zwei andere wichtige Elemente: Gesten und Körperhaltungen. Die Gesichter blieben dabei meistens neutral – so auch bei unserem Satyr. Sein Blick spiegelt nicht seinen eigentlichen Gemütszustand wider. Aber warum ist das so? Die Zurückhaltung in der Darstellung von Gesichtsausdrücken hat mit dem antiken Ideal der Selbstbeherrschung/Besonnenheit (sophrosyne) und den entsprechenden Verhaltensnormen bei alltäglichen Interaktionen zu tun. Nach Platon (5./4. Jahrhundert v. Chr.) ist die sophrosyne das Beherrschen von Lüsten und Begierden. Seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. wurde diese als wichtiges Element des guten Charakters gewertet und galt generell in der Antike als ein zentrales Element der Erziehung und Bildung von Kindern.

Wenn die Gesichtszüge uns nun also keinen Aufschluss über den Gemütszustand liefern, was dann? Bereits zuvor haben wir festgestellt, dass man bei antiken Bildern besonders mit Gesten und Körperhaltungen arbeitete. Man kann dabei zwischen plötzlichen, ausladenden und ruhigen, nachdenklichen Bewegungen unterscheiden. Doch in vielen Fällen reicht dies nicht aus und man muss den Kontext der Darstellung kennen. In unserem Fall musste die betrachtende Person wohl wissen, dass es sich um einen Kampf zwischen dem Satyrn und einem Ziegenbock handelt. Dabei geht es aber offenbar nicht um Leben oder Tod, sondern es handelt sich vielmehr um ein Wettstoßen zwischen den beiden.

Eine interessante Frage ist, ob der Wettkampf zwischen dem Satyrn und dem Ziegenbock vielleicht mehr als nur eine „alltägliche“ Szene darstellt. Kann es sich bei der Darstellung möglicherweise um eine Art Karikatur handeln? Parodien dienten im Allgemeinen dazu, bekannte Szenen und Figuren in einem anderen, meist humorvollen Kontext darzustellen. Man griff dabei vor allem auf bewusste Verzerrung oder Übertreibung zurück. Aus künstlerischer Sicht konnten die Betrachter*innen dadurch nicht nur unterhalten werden, sondern man konnte ebenso gesellschaftliche Kommentare abgeben. Beliebt waren dabei mythologische Szenen, welche die Götter und Helden in komischen, meist sogar entwürdigenden Situationen zeigten. Dies trifft auch auf Satyrn zu. Satyrn stehen in einer engen Verbindung zu den Satyrspielen, einer Form des antiken griechischen Dramas, in denen sie aus ihrem natürlichen Umfeld entrissen werden, was wiederum zu heiteren Situationen führt. Sie übernehmen dabei die Rolle von Antihelden, welche die Götter und mythische Figuren verspotten. Es ist daher gut möglich, dass die Darstellungen den Zweck verfolgten, die Betrachter*innen zum Lachen zu bringen, indem die Grenze zwischen Ernst und Spaß verschwamm.

Wie man sehen kann, können Emotionen in antiken Darstellungen nicht immer eindeutig erkannt werden. Emotionen wurden in der antiken Kunst auf subtile Weise dargestellt und sie waren tief in den kulturellen und sozialen Normen der Zeit verwurzelt. Während Gesichtsausdrücke oft neutral gehalten wurden, um das Ideal der Selbstbeherrschung zu wahren, spielten Gesten und Körperhaltungen eine zentrale Rolle bei der Vermittlung von Gefühlen. 

Weiterführende Literatur

  • L. Ambrosini, The Etruscan Painted Pottery, in: J. MacIntosh Turfa (Hrsg.), The Etruscan World (London 2013) 943–973.
  • M. A. del Chiaro, Etruscan Red-Figured Vase-Painting at Caere (Berkeley 1974).
  • M. Harari, The Imagery of the Etrusco-Faliscan Pantheon between Architectural Sculpture and Vase-Painting, in: L.B. van der Meer (Hrsg.), Material Aspects of Etruscan Religion. Proceedings of the International Colloquium Leiden, May 29 and 30, 2008, BABesch Suppl. 16 (Leuven 2010) 83–103.
  • V. Räuchle, The Visual Arts, in: D. L. Cairns (Hrsg.), A Cultural History of the Emotions in Antiquity, A Cultural History of the Emotions 1 (London 2019) 83–108.
  • L. B. van der Meer, Pictorial Narratives in Faliscan Red Figure Vase Painting, BABesch 94, 2019, 87–96.