Ein fröhlicher Ganswürger
Julija Stajkovic
Ganswürger
München, Glyptothek, Inv. 268
römische Kopie eines griechischen Originals vermutlich des 3. Jahrhunderts v. Chr.
Abguss: Wien, Archäologische Sammlung, Inv. 1392; Übernahme zu unbekanntem Zeitpunkt von Akademie der bildenden Künste
Die visuelle Freude in der Antike
Freude ist einer der angenehmsten Gemütszustände, der aus dem Leben eines Menschen nicht wegzudenken ist. Diese Emotion ist kein Produkt der Moderne, sondern begleitet den Menschen durch seine Geschichte. Einem Menschen Freude anzusehen, ist leicht. Es reicht ein breites Lächeln oder strahlende Augen, um zu verstehen, dass eine Person in dem Moment Freude verspürt. Die Emotionen eines menschlichen Gegenübers einzuschätzen, erscheint als ein simpler Prozess, doch wie verhält es sich mit Statuen und anderen Bildwerken? Wie wurde Freude in der antiken Bildkunst ausgedrückt? Gab es eindeutige bildliche Zeichen für diese Emotion?
Das Lächeln des Ganswürgers
Eine Skulptur, die zu einem Verständnis der Darstellungen von Freude in der Antike verhelfen soll, ist der sogenannte Ganswürger. Die pyramidal aufgebaute Figurengruppe zeigt zwei lebensgroße Figuren, nämlich einen kleinen Jungen und eine Gans. Der Knabe ist unbekleidet dargestellt. Seine kurzen lockigen Haare sind an der Stirn in einem Knoten zusammengebunden. Nur eine isolierte Strähne fällt über seine Stirn herab. Der Körperbau des Knaben ist kindlich, mollig und kräftig. Er lehnt seinen Körper nach hinten und drückt mit seinem rechten Unterarm den Hals der Gans an seine linke Schulter. Sein Kopf ist zur Gans gewendet. Die breitbeinige Stellung hilft dem Kind, das Gleichgewicht zu halten. Der Mund des Kindes steht leicht offen, allerdings ist auf den ersten Blick unklar, ob der Knabe lächelt oder nicht.
Die im Schwitzkasten gehaltene Gans öffnet den Schnabel weit, sodass die Darstellung beinahe das gequälte Schreien des Tieres hören lässt. Die Gans will sich aus dem fesselnden Griff des Kindes befreien und ringt mit dem Knaben. Ihre Hinterbeine drücken sich vom Boden ab, um gegen den Jungen, der seinen Körper nach hinten kippt, Widerstand zu leisten. Mit ihrem wild flatternden Flügel zeigt die Gans ihre missliche Lage, aus der sie zu entkommen versucht. Diese Figurengruppe zeigt also die Momentaufnahme eines „Ringkampfes“ zwischen Mensch und Tier.
Zurück zum Lächeln des Knaben: Ein klares Lächeln oder Anzeichen von Freude ist bei dem Buben nicht deutlich erkennbar. Wie auch bei vielen anderen antiken griechischen Skulpturen sind keine klaren Züge von Freude bzw. Lachen dargestellt. Lachen war der antiken Literatur nicht fremd, warum wird es kaum bei Statuen gezeigt? Die moderne Forschung zu diesem Thema versuchte, sich mit mehreren Interpretationsansätzen dem möglichen Grund für das weitgehende Fehlen eines Lächelns oder Lachens in der griechischen Bildsprache anzunähern. Skulpturen konnten in der griechischen Antike in religiösen Kontexten gezeigt werden, in denen teilweise Gelächter als unpassend empfunden wurde. Es könnte auch daran liegen, dass Gelächter mit einer mangelnden Selbstbeherrschung assoziiert wurde und somit gegen antike Ideale verstieß. Demnach wäre Lachen ein Zeichen für ein schamvolles und bloßstellendes Verhalten.
Kann das antike Ideal der Selbstbeherrschung auch auf Kinderdarstellungen übertragen werden? Auf den ersten Blick wirkt der Gesichtsausdruck des Ganswürgers neutral. Warum wird ihm dennoch oft ein kleines Lächeln nachgesagt? Der Gesichtsausdruck könnte ein Attribut von Kindlichkeit sein, weshalb der leicht geöffnete Mund als Lächeln interpretiert wird. Kinder werden in unserer modernen Auffassung oft mit einem fröhlichen Wesen assoziiert, weshalb es aus dieser Perspektive passend wäre, auch den Ganswürger mit einem Lächeln zu beschreiben, um die Kindlichkeit zur Geltung zu bringen. Aber nur weil der Ganswürger ein Kind ist, muss daraus nicht folgen, dass er auch lächelt. Um zu erkennen, ob der Ganswürger eine freudige Mimik aufweist, ist es notwendig, ihn mit anderen Kinderdarstellungen zu vergleichen.
Reicht ein Lächeln? Kinderdarstellungen in der Antike
Kinderdarstellungen in der antiken Skulptur treten in einer Vielzahl von Kontexten auf. Sie können als Brunnendekoration dienen, in Heiligtümern stehen, aber auch Gräber schmücken. Typisch für Kinderdarstellungen sind die Momentaufnahmen kindlichen Verhaltens, bei dem Ganswürger etwa der Ringkampf mit der Gans. Kinder sind oft ein Inbegriff für Freude und stehen für Unbeschwertheit. Das unschuldige Erscheinen und die mangelnde Lebenserfahrung bilden jedoch einen Kontrast zur Handlung des Ganswürgers. Hier würgt der scheinbar unschuldige Knabe eine hilflose Gans. Die Skulptur des Ganswürgers versucht, die Betrachter*innen in seine Welt zu ziehen. Dadurch wird die Lebenswelt des Kindes durch diese Momentaufnahme selbst erlebt. Wird aber dadurch klar, dass der Knabe in diesem Moment Freude verspürt?
Das kindliche Verhalten, das Ringspiel mit dem Tier, ist zwar zu sehen, jedoch ist es keine direkte Mimik, die den Gefühlszustand des Jungen verrät. Mimik ist ein wichtiger Bestandteil der bildsprachlichen Wiedergabe von Emotionen. Dieser entscheidende Punkt wird jedoch durch das antike, insbesondere klassische Ideal der Selbstbeherrschung, das Gesichtsausdrücke minimiert, nicht wahrgenommen. Das Fehlen von emotional aufgeladener Mimik kann zu einer unklaren Auffassung des Dargestellten führen. Deshalb ist es wichtig, auf das dargestellte Verhalten zu schauen. Zeigt die Statue ein kindliches Verhalten? Soll es in einem freudigen Kontext präsentiert werden? Das „Spiel“ mit der Gans kann daher auch schlichtweg zeigen, was es sein soll, nämlich ein spielender Junge, der an diesem Spiel Spaß hat.
Braucht man Emotionen? Gefühle in der Bildkunst
Was sagt der Ganswürger nun über die Emotion der Freude aus? Gefühle wie Freude finden nur selten eine direkte visuelle Umsetzung in der Mimik von Statuen, und so zeigt auch der Ganswürger kein klares Anzeichen von Freude. Ihm ist kein direktes Lächeln anzusehen, was dazu führt, dass die Interpretation der möglicherweise zum Ausdruck gebrachten Emotion ins Leere geht. Die Assoziation mit kindlichem Verhalten, mit Spiel und Spontanität kann für eine Emotion sprechen, denn wenn ein Kind spielt, hat es in den meisten Fällen Spaß dabei. Durch die Handlung und die kleine Geschichte, welche die Skulptur zu erzählen scheint, wirkt der Ganswürger fröhlich, auch wenn ihm das nicht vom Gesicht abzulesen ist.
Weiterführende Literatur
- B. Andreae, Schmuck eines Wasserbeckens in Sperlonga. Zum Typus des sitzenden Knäbleins aus dem Schiffsfund von Mahdia, RM 83, 1976, 287–309.
- B. Andreae, Schönheit des Realismus. Auftraggeber, Schöpfer, Betrachter hellenistischer Plastik (Mainz 1998)
- A. Furtwängler, Der Dornauszieher und der Knabe mit der Gans (München 1876).
- S. Halliwell, Greek Laughter. A Study of Cultural Psychology from Homer to Early Christianity (Cambridge 2009).
- E. Künzl, Frühhellenistische Gruppen (Köln 1968).
- H. Rühfel, Das Kind in der griechischen Kunst (Mainz 1984).
- S. Schlegelmilch, Bürger, Gott und Götterschützling. Kinderbilder der hellenistischen Kunst und Literatur, Beiträge zur Altertumskunde 268 (Berlin 2009).