Originale in der Sammlung
Antike Originalobjekte gelangten deutlich später als Gipsabgüsse in die Archäologische Sammlung. Den Grundstein legten 66 Fragmente attischer Keramik und Glasobjekte, die Emanuel Stöckler, damals Hofmaler am Zarenhof, 1878 dem Archäologisch-Epigraphischen Seminar schenkte. Erst nach dem Umzug in das neue Universitätsgebäude am Ring wurden die Originale-Bestände sukzessive erweitert. Ein wichtiges Konvolut von 90 meist keramischen Originalen stammt von Otto Benndorf selbst, der die Stücke vor allem aus den etruskischen Städten Vulci und Orvieto ankaufte und 1888 der Archäologischen Sammlung schenkte. Auch in der Folgezeit beruhte der Zuwachs der Originale-Sammlung nur zu einem geringen Teil auf systematischen Ankäufen und vorrangig auf Schenkungen, etwa aus dem Adel, von Studenten, Absolventen oder Professoren der Wiener Universität.
Heute umfasst die Originale-Sammlung rund 4.100 Objekte, vornehmlich Keramik, die einen Überblick über die antike Keramikproduktion, über Gefäßformen und die griechische Vasenmalerei vermitteln – und zwar gerade weil es sich zumeist nicht um museale ‚Prunkstücke‘, sondern um heterogenes Material von großer Bandbreite handelt. Die Exponate sind chronologisch aufgestellt, beginnend mit Keramik aus der bronzezeitlichen Ägäis und dem früheisenzeitlich-geometrischen Griechenland. Die archaische Zeit ist vertreten durch Keramikproduktionen verschiedener Landschaften, etwa Etrurien (vor allem Bucchero), sowie schwarzfiguriger Produktionen von Böotien, Korinth und dem griechischen Osten. Einen Großteil der Bestände machen attische Stücke aus: Etwa 115 Gefäße und Gefäßfragmente entfallen auf attisch-schwarzfigurige Keramik, mehr als 500 auf attisch-rotfigurige Vasen. Hinzu kommen italische Waren, aber auch Schwarzfirniskeramik, hellenistische und römerzeitliche Gefäßkeramik, vor allem Terra Sigillata. Große Teile der Bestände wurden von Hedwig Kenner im 1942 erschienenen Band des „Corpus Vasorum Antiquorum“ (CVA) publiziert. Derzeit bereitet Hadwiga Schörner einen neuen CVA-Band vor, in dem sämtliche Gefäße und Fragmente der geometrischen und archaischen Zeit vorgelegt werden sollen (2021–24).
Zu den besonders interessanten attisch-schwarzfigurigen Vasen der Sammlung zählen eine Olpe des Gorgomalers (Inv.-Nr. 1219) mit der typischen Darstellung eines nach rechts schreitenden Löwen, die derzeit restauriert und aus vielen Fragmenten wieder zusammengesetzt wird; ein Fragment eines Pinax (Inv.-Nr. 1142), also einer Votivtafel mit einer Weihinschrift und der Darstellung einer Athena Promachos, die auf der Athener Akropolis gefunden wurde; sowie eine Augenschale (Inv.-Nr. 1217), bei der die Darstellung von Dionysos und Satyrn auf die Verwendung der Schale als Trinkgefäß für Wein hinweist.
Unter den attisch-rotfigurigen Vasen der Wiener Universitätssammlung stechen zwei große Bauchamphoren spätarchaischer Zeit hervor, die Otto Benndorf 1891 in Orvieto erwarb. Um 500 v. Chr. datiert und dem Oltos zugeschrieben, zeigt die erste Amphora (Inv.-Nr. 631a) auf dem einen Bildfeld Herakles, der die erbeutete Kerynitische Hirschkuh unter dem Arm davonträgt und von Apollon verfolgt wird, gerahmt links und rechts von den Göttinnen Athena und Artemis. Das gegenüberliegende Bildfeld stellt eine Begegnung von Ares und Aphrodite dar. Die zweite, dem Dikaios-Maler zugeschriebene Amphora (Inv.-Nr. 631b) gehört ebenfalls der Frühphase der rotfigurigen Vasenmalerei an und zeigt auf der Hauptseite Apollon mit seiner Kithara, den seine Schwester Artemis und seine Mutter Leto flankieren.
Zu den wichtigsten rotfigurigen Stücken zählt zudem ein großer, wenn auch nur fragmentarisch erhaltener Kelchkrater des hochklassischen Vasenmalers Polygnotos, den Otto Benndorf aus Vulci ankaufte. Die beiden übereinander angeordneten Register zeigen drei Szenen rund um die Eroberung Troias: Auf dem unteren Streifen trauert Achilleus auf der einen Seite um seinen gefallenen Freund Patroklos und wird auf der anderen Seite vermutlich vom greisen König Priamos aufgesucht, der den Leichnam seines Sohnes Hektor erbittet. Im oberen, durchlaufenden Streifen reiten die Nereiden auf Seetieren über das Meer, um Achilleus neue Waffen zu bringen. Zu den bemerkenswerten rotfigurigen Vasen gehören auch eine Lekythos des Ödipus-Malers (Inv.-Nr. 526a), auf der ein fein gezeichneter Eros mit einer Salpinx zum Kampf bläst – eine sehr seltene Darstellung –, oder der Ausguss eines kesselförmigen Gefäßes (Inv.-Nr. 946), auf dem ein ebensolcher Kessel mit figürlicher Dekoration dargestellt ist.
Neben Keramik umfasst die Originale-Sammlung einen reichen Bestand an antiken Lampen und Glasgefäßen, aber auch figürliche Terrakotten und Kleinfunde aus Bronze und anderem Metall. Originale antike Skulptur ist mit einem herausragenden Apollon-Kopf des Typus Kassel vertreten (Inv.-Nr. 412), der sich unter die römisch-kaiserzeitlichen Kopien dieses klassischen Bronzewerks einreiht und 1887 aus der Sammlung des Wiener Malers Daniel Penther angekauft wurde.